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Die anderen Frauen und ich nicht
„Ich kann nicht frauenfeindlich sein, ich bin doch eine Frau!“ Diskriminierung wird oft als etwas gesehen, was von außen kommt und nicht von innen. Dieses Essay beleuchtet den Begriff „Internalisierte Misogynie“, die Annahme, dass Gleichberechtigung doch sowieso kein Thema mehr ist und gibt Anreize, wie an diesem Problem gearbeitet werden kann.
„Ich verbringe lieber Zeit mit Männern, Frauen sind mir zu anstrengend.“ „Die hat sich sicher hochgeschlafen, schau sie dir an.“ „Frauen sind doch eh schon gleichberechtigt, die sollen nicht so jammern.“
Viele Frauen haben Aussagen wie diese in ihrem Leben wahrscheinlich schon mehr als einmal gehört. Im ersten Moment assoziiert man diese Aussagen vielleicht mit einem Mann, umso überraschender ist es, wenn sie von Frauen getätigt werden. Vielleicht hat man Sätze wie diese sogar schon einmal selbst ausgesprochen. Doch warum diskriminieren Frauen andere Frauen?
Die eigene Erfahrung
Als Autorin dieses Artikels möchte ich mich nicht in Unschuld waschen, denn auch ich habe in der Vergangenheit solche Ansichten vertreten. Besonders in meinen Hauptschuljahren wollte ich bewusst von allem Abstand nehmen, was als „typisch Mädchen“ galt. Die Farbe Rosa, Kleider, Röcke, Liebesfilme, Hobbys wie Tanzen oder Reiten – all das wollte ich so weit wie möglich von mir fernhalten, da es „Mädchendinge“ waren und damals automatisch als uncool galten. Ich war stolz darauf, mich mit den Jungs in der Klasse besser zu verstehen und Videospiele zu spielen, ein Hobby, welches eher als maskulin gilt (wobei die Hälfte aller Spieler:innen weiblich ist). Ich strebte nach Anerkennung und Bestätigung von den Jungen in meiner Klasse. Keinesfalls wollte ich wie andere Mädchen sein, weil andere Mädchen sind emotional, zickig und laut. Erst viele Jahre später lernte ich, dass hinter diesen Gedanken tiefere Gründe lagen.
Was ist bitte internalisierte Misogynie?
„Internalisierte Misogynie“ heißt der Begriff, welcher in den letzten Jahren vermehrt im Internet und auf feministischen Social-Media-Plattformen auftaucht. „Misogynie“ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet wörtlich übersetzt „Frauenhass“ (misos „Hass“, gyne „Frau“). Dies umfasst die Abwertung von Frauen, Frauenfeindlichkeit sowie das Vertreten sexistischer Vorurteile und vieles mehr. Internalisiert wird sie dadurch, dass viele Menschen in unserer Gesellschaft Misogynie unterbewusst verinnerlicht haben. Oft wird internalisierte Misogynie Frauen zugeschrieben, jedoch kann sie jeden unabhängig von deren Geschlecht betreffen. Auch unter Feminist:innen sind mitunter misogyne Denkmuster verbreitet; etwa wenn eine Frau einem traditionellen Rollenbild nachgeht und sie im Zuge als Bedrohung für die Bewegung angesehen wird.
(Un)gleichberechtigung der Frau
Internalisierte Misogynie betrifft jedoch nicht nur das individuelle Selbstbild, sondern auch andere Frauen im Umfeld. Wiederholte abwertende Äußerungen führen dazu, dass diese Werte von ihnen ebenfalls verinnerlicht werden. In meinem sozialen Umfeld sind mir solche Denkmuster besonders häufig aufgefallen, wenn es um das Thema Ungleichberechtigung von Frauen geht. Viele Menschen sind der Meinung, dass dieses Problem bereits überwunden ist, insbesondere in Ländern wie Österreich. In einer Studie des AK Wiens aus 2018 wurde diese Zahl auf 70% aller Österreicher:innen geschätzt. Von allen befragten Frauen gaben nur 38% an, dass ihrer Meinung nach Sexismus in Österreich verbreitet ist. Daher möchte ich im folgenden Abschnitt einige Bereiche beleuchten, in denen Frauen heutzutage immer noch nicht die gleichen Rechte und Möglichkeiten wie Männer haben.
Gender Pay Gap
Sucht man im Internet nach Beispielen für Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, ist wahrscheinlich eines der ersten Suchergebnisse der Gender Pay Gap. Österreich gehört laut Bundeskanzleramt immer noch zu den EU-Ländern mit dem größten Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern. 2021 betrug dieser Unterschied 18,8%, deutlich über dem EU-Schnitt von 12,7% (Bundeskanzleramt Österreich). Um dies zu veranschaulichen, gibt es den „Equal Pay Day“ - dieser beschreibt jenen Tag im Jahr, ab dem Männer jenes Einkommen erreicht haben, für welches Frauen noch bis Jahresende arbeiten müssen. Im letzten Jahr war dieser Tag der 30. Oktober. Somit arbeiteten Frauen 2022 praktisch zwei Monate „umsonst“.
Data Pay Gap
Ein weiteres Thema, das viele Bereichen beeinflusst, ist der Gender Data Gap. Sie befasst sich mit der unzureichenden Datenerhebung zu Frauen in Bereichen wie Wissenschaft, Wirtschaft und Medizin.
Ein konkretes Beispiel findet sich beim Einsatz von Crashtest-Dummies. Gesetzlich vorgeschrieben ist nur die Verwendung von Crashtest-Dummies, welche einem durchschnittlichen Mann ähnlich sind. Weibliche Dummies existieren zwar, jedoch werden sie nur sehr selten angewendet und selbst dann repräsentiert das heute verfügbare Modell mit einer Körpergröße von 152 cm und 54 kg Gewicht lediglich fünf Prozent aller Frauen – im Gegensatz zu den zwei männlichen Dummies dessen Körperwerte 50% und 95% von Männern ähnlich sind. Dies hat zur Folge, dass Frauen bei Autounfällen häufiger schwere Verletzungen erleiden und eine höhere Sterblichkeitsrate haben als Männer.
Der Gender Data Gap zeigt sich auch in der Medizin. Frauen sind oft unterrepräsentiert in Medikamentenstudien, Schwangere sind häufig komplett ausgeschlossen. Dies kann eine falsche Dosierung, nicht genug erforschte Nebenwirkungen und einen generellen negativen Einfluss auf die Gesundheit von Frauen haben .
Ein weiteres Beispiel betrifft die Behandlung von Herzinfarkten. Die klassische Symptombeschreibung eines Herzinfarkts – stechen in der Brust, welches in den linken Arm strahlt – trifft hauptsächlich auf Männer zu. Symptome bei Frauen sind anfangs häufig unspezifisch - Atemnot, Kältegefühl, Übelkeit oder Schwindel – akute Schmerzen in der Brust sind selten, stattdessen tritt oft ein Engegefühl in der Brust auf. Aufgrund mangelnden Bewusstseins sterben Frauen immer noch mehr an Herzinfarkten als Männer. Eine US-amerikanische Studie von 2018 zeigte sogar, dass das Geschlecht des behandelnden Arztpersonals die Sterblichkeitsrate beeinflusst: Wenn Frauen von einer Ärztin behandelt werden, überleben sie signifikant häufiger.
Altersarmut bei Frauen
Im Jahre 2022 waren in Österreich rund 235.000 Menschen über 65 von Armut oder Ausgrenzung betroffen. Zwei Drittel dieser Gruppe (155.000) sind weiblich. Im Durschnitt erhalten Frauen in Österreich um 40,5% weniger Pension als Männer. Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass etwa die Hälfte der Frauen in Österreich in Teilzeit arbeiten und somit die Pensionsberechnung dementsprechend niedriger ausfällt. Auf der anderen Seite arbeiten viele Frauen überhaupt erst in Teilzeit, weil sie in unserer Gesellschaft immer noch den Großteil der unbezahlten Arbeit im Haushalt übernehmen. Darunter fallen Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Einkaufen, Putzen oder Kochen. Da diese Arbeit „im Hintergrund“ stattfindet wird sie im System nicht ausreichend oder gar nicht honoriert. Somit haben Frauen ein deutlich höheres Risiko später von Altersarmut betroffen zu sein, obwohl sie viel Arbeit geleistet haben.
Der eigene Beitrag
Vorherige Abschnitte haben hoffentlich veranschaulicht, dass in Bezug auf Gleichberechtigung und Sexismus noch viel Aufholbedarf besteht, trotz der Behauptung vieler, dass die vollkommene Gleichberechtigung bereits erreicht sei. Es ist wichtig, sich diese Probleme vor Augen zu führen, vor allem wenn man Sprüche wie „Frauen geht’s hier doch eh nicht so schlecht.“ und „Frauen können ja eh schon alles, was Männer können.“ verinnerlicht hat. Doch wie löst man so ein verschachteltes Thema wie „Internalisierte Misogynie“?
Der erste Schritt sollte eine Selbstreflexion sein, bei der man sich fragt, wie internalisierte Misogynie im eigenen Denken sichtbar wird. Welche Anmerkungen hat man vielleicht selbst in der Vergangenheit gegen Frauen getätigt, die ihre Wurzeln im Sexismus tragen? Selbst wenn man sich bereits als Feministin bezeichnet, ist dieser Schritt essenziell, da oft nicht bewusst ist, wie stark Vorurteile und Misogynie verinnerlicht sein können. Dieser Schritt ist natürlich nicht einfach und erfordert viel Zeit und Selbstreflexion, ist jedoch trotzdem einer der ersten, um dieses Problem zu verringern.
Als zweites sollte man andere Frauen unterstützen, die herabwürdigende Aussagen gegen Frauen treffen. Die genaue Herangehensweise hängt dabei sehr von der jeweiligen Beziehung ab, die man mit dieser Person hat. Grundsätzlich sollte man jedoch keinen herablassenden Ton anschlagen, oder die Person beschuldigen. Vor allem da, aus eigener Erfahrung, Frauen mit unbewusster internalisierter Misogynie häufig aus Zeiten vor der Millennial-Generation stammen und einfach nicht dieselben Möglichkeiten an Gemeinschaft und Informationsverfügbarkeit hatten, da sie nicht mit dem Internet aufwuchsen und die Welt damals generell noch etwas anders aussah. Am besten antwortet man auf derartige Äußerungen mit „Warum findest du das?“ oder ähnlichen Fragen. Auf diese Weise kann eine konstruktive Konversation starten, bei der man verstehen kann, woher der oder die Gesprächspartner:in diese Gedanken hat.
Wie kann sonst noch geholfen werden?
Wie wir gelernt haben, sitzt internalisierte Misogynie oft tief und bedarf viel und vor allem stetiger Selbstreflexion. Im Alltag muss man sich immer wieder daran erinnern, dass gewisse Denkweisen einen unbewussten sexistischen Ursprung haben können. In diesem Fall währe es hilfreich, wenn man eine kleine Erinnerung immer an der Hand tragen könnte. Dies könnte beispielsweise mit einem Armband oder einem Ring geschehen. Mit auffälligen Farben oder einer eingravierten Message könnte so immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden, dass man zu sich selbst und anderen freundlich sein, und Vorurteile ablegen sollte. Ein Beispiel, wie dies umgesetzt werden könnte, sieht man in der Abbildung nebenan.
Gemeinsam stark machen
Abschließend ist zu sagen, dass internalisierte Misogynie nur eine Facette des Problems der Ungleichbehandlung von Frauen ist. Jedoch ist es eine wichtige Facette, welche es wert ist, beleuchtet und verstanden zu werden. Frauen sollten untereinander zusammenhalten und sich gemeinsam stark machen, statt sich gegenseitig herabzusetzen. Je mehr Menschen aktiv tagtäglich daran arbeiten, Frauenfeindlichkeit in der Gesellschaft zu verringern, desto eher folgt eine dauerhafte Veränderung und ein Umschlagen im allgemeinen Bewusstsein. Desto eher bekommen Frauen und andere marginalisierte Gruppe endlich die Gleichberechtigung, die ihnen zusteht.