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Hexe mit Magie

Mit Design zur Pflege-Revolution?

Medizinischer Fortschritt und verbesserte Lebensqualität führen dazu, dass die Anzahl der Menschen über 80 Jahren kontinuierlich zunimmt. Diese Entwicklung stellt eine Herausforderung dar, da in Zukunft ein größerer Bedarf an Pflege- und Betreuungspersonal entstehen wird - in einer Branche, die ohnehin stark belastet ist. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, wie dieser wachsende Bedarf bewältigt werden kann. Und ob auch Designer:innen einen Beitrag dazu leisten können, den Pflegeberuf attraktiver zu machen?

Pflegekräfte auf der Flucht

Die Probleme im Gesundheitssektor treten besonders deutlich im Pflegebereich zutage. Eine Umfrage der Arbeiterkammer im Jahr 2021 zeigt, dass knapp die Hälfte des Pflegepersonals einen Ausstieg aus dem Beruf erwägt. Zusätzlich verstärkt wird diese Entwicklung durch die unmittelbar bevorstehende Pensionierungswelle. Mehr als ein Drittel der aktuell tätigen Pflegekräfte ist über 50 Jahre alt. Aber nicht nur die Pensionierung stellt Unternehmen in puncto Personalbedarf auf die Probe: Im Durchschnitt verlassen Personen in der Pflege das Berufsfeld nämlich nach nur zehn Jahren, häufig aufgrund nachlassender Leistungsfähigkeit. Die vielfältigen Belastungen, wie hohe Verantwortung, der Kontakt zu Kranken und lange Schichtdienste, wirken sich nicht nur physisch, sondern auch psychisch aus. Eine Studie des SORA Instituts im Jahr 2021 unterstreicht dies: Für knapp die Hälfte der Befragten stellt die seelische Belastung die größte Herausforderung dar. Gefolgt davon sind Zeitdruck, Änderungen im Arbeitsablauf und Unfallgefahr die belastendsten Faktoren.

Die grassierenden Herausforderungen werden nicht nur in Statistiken deutlich, auch auf persönlicher Ebene sind die Probelmfelder omnipräsent. So auch bei Ida M. (Name von der Redaktion geändert). Die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin ist seit dreißig Jahren in einem Krankenhaus tätig. Die 56-Jährige berichtet von aggressivem Verhalten von Patient:innen, einem hohen Stresslevel aufgrund von Personalmangel und dem Fehlen von Nachwuchs im Pflegebereich. Viele Kolleg:innen gehen in Pension, andere erkranken an Burnout, fallen für längere Zeit aus oder entscheiden sich für eine Umschulung. Diese Ausfälle müssen von ihr und anderen Kolleg:innen häufig ohne adäquate Nachbesetzungen kompensiert werden, was den Stresspegel weiter erhöht und nur wenig Zeit für die Betreuung von Patient:innen zulässt. Zusätzlich belastet die fehlende Wertschätzung für diesen fordernden Beruf. Es ist eine Abwärtsspirale, aus der es in vielen Einrichtungen auf Zeit kaum Entrinnen gibt.

Eine angeschlagene Branche attraktiver machen

Im Angesicht dieser fordernden Rahmenbedingungen pressiert die Frage: Wie können wir sicherstellen, dass der Pflegeberuf für nachfolgende Generationen wieder an Attraktivität gewinnt? Denn Pflege bietet eine sinnvolle Beschäftigung mit flexiblen Arbeitszeiten und Krisensicherheit. Allerdings lässt sich dieses Berufsfeld ohne Verbesserung der Rahmenbedingungen nur schwer an junge Menschen verkaufen. Der größte Handlungsdruck zur Verbesserung der Arbeitsplatzzufriedenheit liegt in der Attraktivierung der Verdienstmöglichkeiten, einer verbesserten Work-Life-Balance, mehr Zeit für Patient:innen, Wertschätzung, Anerkennung durch Patient:innen und Vorgesetzte sowie einem höheren Stellenwert des Pflegepersonals im Krankenhaus. Auszubildende brauchen eine Aussicht auf klare Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten. Durch eine Akademisierung des Pflegeberufs kann die fundamentale Rolle von hochqualifizierten Arbeitskräften anerkannt werden, Aufstiegsmöglichkeiten geschaffen sowie ein höheres Gehalt in Aussicht gestellt werden. Gleichzeitig ist aber auch vollkommen klar: Pflegekräfte müssen in Zukunft weit angemessener bezahlt werden.

Die österreichische Bundesregierung versucht den Pflegenotstand derzeit durch höhere finanzielle Unterstützung abzumildern. Außerdem soll das belastete Personal durch Zivildiener unterstützt werden. Der Einstieg in den Pflegeberuf wird durch eine 4-jährige Lehre erleichtert. Bisher konnte nur eine akademische Ausbildung den Weg in den Pflegeberuf ebnen.

Ein weiterer Schlüssel: der Zuzug von Arbeitskräften aus Nachbarstaaten. Österreich bietet durch die zentrale geografische Lage eine attraktive Zieldestination für Pflegekräfte aus dem Ausland. Allerdings werden beispielsweise in Skandinavien bessere Arbeitsbedingungen geboten und Arbeitskräfte somit abgeworben. Ganz ohne Zuwanderung wird sich der Bedarf jedoch nicht abdecken lassen – zu gravierend ist das Loch, das der demografische Wandel in die Arbeitskräftebilanz der Branche reißt. Zwar hat Österreich eines der teuersten Gesundheitssysteme Europas, allerdings kommt schlussendlich nur wenig Geld in der Pflege an. In der 24-Stunden-Betreuung sind nur 40 von 900 Betrieben vom Staat finanziert. Ein gängiges Problem: Hier müssen hauptsächlich weibliche Arbeitskräfte aus Ländern wie der Slowakei oder Rumänien Teile ihres Lohns an Vermittlungsagenturen abgeben.

Auch in Spitälern und Heimen gibt es einiges zu verbessern: Hier müssen Betten für Akutversorgung offenstehen, Untersuchungen, Verbands- und Katheterwechsel sollen ausgelagert und durch Pflegekräfte durchgeführt werden. Um Angehörige zu entlasten, sollte der Staat Betreuungshilfen vermitteln. Außerdem unterscheiden sich die Strukturen in den Bundesländern stark. Ein einheitliches System würde hier etwa eine Qualitätssicherung gewährleisten.

Gesundheitswesen im Wandel: Was Design beitragen kann

Moderne Technologien wie Künstliche Intelligenz, Robotik, Virtual- und Augmented Reality, Apps und das Internet eröffnen auch im Gesundheitswesen weitreichende Möglichkeiten. Sie tragen dazu bei, Krankheiten früher zu erkennen, Prozesse effizienter zu gestalten, Kosten im Gesundheitswesen zu senken und Patient:innen durch innovative Behandlungs- und Diagnoseverfahren zielgerichteter zu betreuen. So können beispielsweise Roboter dazu eingesetzt werden, Räume zu reinigen und zu desinfizieren, Menschen mit Beeinträchtigungen zu unterstützen oder einfache Tätigkeiten zu erledigen. Durch moderne Technologien wird die Effizienz erhöht, mit genaueren Diagnosen wird die Qualität verbessert. Auch bei den Patient:innen zeichnet sich eine Veränderung ab: Sie werden aktiver und möchten selbst zu ihrer Gesundheit oder Genesung beitragen und souveräner agieren. Die Nachfrage nach Informationen und inter- aktivem Austausch steigt – ebenso wie die Bereitschaft, digitale Angebote zu nutzen und neue Technologien zu akzeptieren. Der Umsatz digitaler Gesundheitsprodukte wächst deshalb: Vor allem Digital-Health-Apps werden in- zwischen von vielen Verbraucher:innen als große Chance wahrgenommen. Fast jede:r fünfte Deutsche hat mittler- weile eine Gesundheits-App auf dem Handy: Der Schrittzähler kann daran erinnern, sich heute noch zu bewegen, die Ernährungs-App hilft, weniger Zucker zu essen, und die Menstruations-App erinnert an zyklusgerechte Nahrungsergänzungsmittel.

Design Thinking als Problemlösungsstrategie

Die Digitalisierung des Gesundheitsnetzes stellt die Interaktion zwischen Nutzer:innen mit medizinischen Produkten in den Fokus. Gutes UX-Design kann die Interaktion von Patient:innen und Gesundheitspersonal müheloser gestalten. UX-Forschung kann hier dabei helfen, die Bedürfnisse und Motivationen von verschiedenen Interessengruppen besser zu verstehen, Probleme zu eruieren und Prioritäten zu setzen. Der Einsatz von Design Thinking konnte sich im Gesundheitssektor bereits etablieren. Sowohl in großen Spitälern als auch in MedTech-Unternehmen konnten Produkte und Prozesse verbessert oder neu entwickelt werden. Ein Vorzeigebeispiel aus der Praxis hierfür ist die Augenklinik in Rotterdam. Hier wurde mit Design Thinking eine räumliche Atmosphäre geschaffen, die Wohlbefinden vermittelt und Ängste lindert. Die Aufenthaltsdauer von Patient:innen konnte minimiert werden, 95% der Eingriff e werden heute ambulant durchgeführt. Lösungen müssen nicht kostenintensiv oder hoch innovativ sein, vielmehr sollen relevante Bedürfnisse von Patient:innen verstanden und abgebildet werden. Durch kleine Anpassungen wie nutzerfreundlichere Websites, verkürzte Wartezeiten, klar beschriftete Wege in Spitälern oder atmosphärisches Gestalten von Warteräumen können bereits positive Veränderungen erzielt werden. Beispiele wie diese zeigen: Auch Design kann einen Beitrag leisten, eines der dringlichsten Probleme der heutigen und künftigen Gesellschaft ein Stück weit in den Griff zu bekommen.

Anika Podrietschnig
Anika Podrietschnig
Autor:in & Designer:in

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